Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Degeneration erzählen. Von Riccardo Nicolosi

18. Januar 2018

Cover

Literatur und Psychiatrie im Russland der 1880er und 1890er Jahre
(Theorie und Geschichte der Literatur und der Schönen Künste, 121)
Paderborn: Fink 2018
Zitation

Riccardo Nicolosis Studie fördert ein neues, überraschendes Bild des russischen fin de siècle in seinen vielfältigen Beziehungen zum gesamteuropäischen Degenerationsdiskurs zutage. Während die literaturwissenschaftliche Forschung bislang lediglich die Verbindungen zwischen biomedizinischer Kunstkritik (vor allem Max Nordaus Entartung) und der russischen Literatur der décadence und des Symbolismus herausgestellt hat, zeigt Nicolosi das breite Panorama eines antimodernistischen Degenerationsdiskurses, der sich durch die engen Wechselwirkungen von Literatur und Psychiatrie konstituiert.

Die Studie fokussiert die narrative und rhetorische Verfasstheit der Entartung als Erzählmodell, das in Russland in Auseinandersetzung mit westeuropäischen Poetologien und Epistemologien entsteht, und zeichnet die mannigfaltigen Transformationen von Verfallserzählungen zwischen naturalistischer Poetik und psychiatrischen Fallgeschichten, Kriminalliteratur und Kriminalanthropologie, literarischem Darwinismus und Eugenik nach. Politisch konservative Psychiatrie und spätrealistische, naturalistische Literatur figurieren dabei als gleichberechtigte Akteure in einem Prozess der Gestaltung, Veränderung und Infragestellung von Degenerationsnarrativen. (Verlag)

Prof. Dr. Riccardo Nicolosi lehrt Slavische Philologie/Literaturwissenschaft an der LMU München. Von 2007 bis 2008 war er Fellow des Kulturwissenschaftlichen Kollegs Konstanz, wo er an dem vorliegenden Buch gearbeitet hat. Der Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ hat das Erscheinen des Bandes gefördert.